Der lange Flug nach Manila, via Dubai, sollte eigentlich schrecklich werden mit der steigenden Sehnsucht nach Freunden und Familie und mit dem Bewusstsein, dass man nun für zehn Monate von zu Hause fern bleiben wird. So zu mindestens hatte ich es mir vorgestellt. Aber stattdessen war ich einfach nur voller Vorfreude und Spannung, nicht zuletzt wegen des angenehmen Fluges in der Emirates Economy Class.
Angekommen im tropischen Manila, mussten meine deutschen Freunde, zwei Thailänderinnen, eine Spanierin, eine Schweizerin und ich erst einmal eine gute Stunde auf unsere französischen AFS-Austauschschüler warten, welche es sich in der Flughafen Lounge gemütlich gemacht hatten. Anschließend ging es auf eine dreistündige Autofahrt quer durch das von Staus gequälte Manila.
Am nächsten Tag hatten wir unser „Arrival Camp“. Hier wurden essentielle Themen besprochen, wie man sich gegenüber den Landesbewohnern zu verhalten hat bzw. was man unbedingt vermeiden sollte. Leider musste ich im Camp erfahren, dass meine geplante Gastfamilie Pläne hegten wieder nach Manila zurück zu ziehen und entschieden sich, mich besser nicht aufzunehmen. Diese Familie hat allerdings bis heute keine Anstalten gemacht, tatsächlich nach Manila zu ziehen. Glücklicherweise hat sich dann meine jetzige Familie schon am nächsten Tag bereit erklärt mich aufzunehmen. Allerdings bekam ich keine Informationen über meine neue zukünftige Familie, und ich konnte mich im Grunde auf nichts vorbereiten. Aber das war in Ordnung für mich.
Ich habe einfach versucht, damit klar zu kommen, das ich mich gerade in einer von 17 Millionen Menschen besiedelten Region befinde, rund 10.000 Kilometer von zu Hause entfernt bin und gerade von einem Taifun heimgesucht werde und dennoch mich auf alles Neue freuen sollte.
Nach meinem eineinhalb Stunden Flug nach Tacloban City, einer mittelgroßen Stadt die 221.000 Einwohner zählt, direkt am Meer gelegen und von einer super schönen Natur umgeben, folgte gleich ein zweiter Schreck. Am Flughafen in Tacloban wurde ich nicht von meiner Gastfamilie sondern von deren engsten Freunden abgeholt und ohne weitere Erklärungen zu meiner zukünftigen Schule, St. Therese Educational Foundation of Tacloban Inc. (STEFTI) gebracht. Nach kurzer Zeit wurde mir bewusst, dass einer meiner Eltern dort angestellt sein muss. Als ich in das „Auditorium“ der Schule gebracht wurde, wurde ich dann auch meiner Gastmutter vorgestellt, die an der Schule als Lehrerin angestellt ist.
Es war ein ganz seltsames Gefühl als ich zum ersten Mal meine neuen „Eltern“ und meine drei jüngeren Gastschwestern kennen lernte. Sie sahen super sympathisch aus, dennoch hatte ich nicht sofort das Gefühl der Geborgenheit, welches ich normalerweise von Eltern gewohnt bin. Im Gegenteil, ich war schüchtern. Ich fühlte mich nicht in der Lage, meine Gastmutter und meinen Gastvater zu umarmen, wie ich es mir eigentlich ausgemalt hatte, stattdessen schüttelte ich ihnen einfach die Hand und lächelte, wenn auch wenig überzeugend.
Mein erster Schultag war aufregend und lustig. Als ich mit meiner AFS-Partnerin Emma, normale Kleidung tragend und als einzige Weiße, durch die Horden von Schuluniform tragenden Kindern zu unserem zukünftigen Klassenraum gebracht wurden, fühlte ich mindestens 1000 Augen auf mich und Emma gerichtet und hörte Getuschel und Gekicher von jeder Ecke. Um zu gestehen, genoss ich es. Es war, als wäre man ein Star unter seinen Fans. Nur eines störte mich, wir wurden beide sofort als „Amerikano“ abgestempelt, was hier zu Lande aber total normal ist und woran ich mich auch recht schnell dran gewöhnte. Im Klassenraum war es nicht viel anders, obwohl ich in einer Ecke ein paar Jungs entdeckte die nicht wirklich neugierig waren, welche aber schon bald meine engsten Freunde werden sollten. Meine beiden „Advisors“, welche die Rolle der Klassenlehrer einnehmen, begrüßten mich sofort, stellten sich vor und schickten mich umgehend an die Front, um mich selbst erst einmal bekannt zu machen. Schon jetzt ging es los, dass ständig jemand eine Frage stellen wollte, oder am liebsten alle zu gleich, sodass meine Lehrerin entschied, dass ich mich auf meinen Platz setzen solle und einfach geduldig die Fragen beantworten solle. Die Fragen waren zum Beispiel, wie groß ich sei, ob ich eine Freundin hätte, warum ich mich entschieden hätte, auf die Philippinen zu gehen, ob es mir hier gefällt, ob ich finde das Filipinas attraktiv sind und vieles mehr.
Nachdem wir zu Mittag gegessen hatten, hatte ich meine ersten Unterrichtsstunden. Meine Fächer sind Mathematik, Englisch, Physik, Filipino, eine Art Politik & Wirtschaft (in Filipino gelehrt), MAPEH (Music, Arts, Physical Education and Health), Religion, Computer und eine Art Hauswirtschaftslehre, welches ich kurzer Hand als das unnötigste Fach erklärte, da ich hier lernte, wie man T-Shirts färbt, kocht und Bilder für Gott malt. Fünf Mal gemeinsam in der Schulzeit (7:30-16:40 Uhr) zu beten, gehört auch zu meinem Schulalltag, genau wie die „Flag ceremony“, welche jeden Schultag einleitet.
Zu Anfangs gefiel mir der neue Unterricht sehr gut. Es war ziemlich einfach, und ich empfand es als angenehm, wie der Unterricht aufgebaut war. Ein Lehrer kam in die Klasse, schrieb ein paar Hilfen an die Tafel und stellte uns anschließend Aufgaben, welche es zu lösen galt. Wenn man es nicht fertig brachte, diese Aufgaben in der Stunde zu lösen, hatte man auch noch bis an das Ende des Schultages Zeit. Aber nach drei Monaten wurde mir diese Routine viel zu langweilig, ich fing an, die Debatten, Diskussionen, generell den auf mündliche Arbeit basierenden Unterricht, welchen ich aus Deutschland gewohnt war, zu vermissen. Zudem, was ich aber seltsamerweise nicht als unangenehm empfand, kam, dass der Unterricht schwerer wurde, sodass ich mich nun wirklich anstrengen musste, um gute Noten zu schreiben. Was ich aber an dem Philippinischen Schulsystem sehr mag ist, dass alle paar Wochen eine Aufführung von Schülern stattfindet. Sei es tanzen, singen oder schauspielern. Diese „ungewöhnlichen“ Aktivitäten gehören dennoch zum Unterricht und werden somit auch benotet.
Nun geht es an die Vorbereitung für unsere „JS-Prom“ (ein Ball, welcher unter den 4th Year High School Schülern und 3rd Year High School Schülern stattfindet). Ähnlich wie man es aus amerikanischen Filmen kennt, ist auch hier jeder Schüler dabei Tänze einzustudieren, die besten Kleider auszuwählen, und die Mädchen sind nervös und fragen sich welcher Junge sie bittet, ihn zu begleiten.
Damit würde ich gerne den Schulteil abschließen und zu meinem Alltag und Familienleben kommen.
Die Familie ist auf den Philippinen ganz klar das Allerwichtigste. Es ist ganz wichtig, der Familie genügend Zeit zu widmen und man muss den Familienmitgliedern und deren Freunde vollsten Respekt zeigen. Die „Lolas und Lolos“ (Großmutter und Großvater) sind in der Familie sozusagen die Oberhäupter. Sie entscheiden, ob etwas gut oder schlecht für einen wäre und ob man sich mit jemandem des anderen Geschlechtes treffen darf, ob man auf Partys gehen darf und welche Schulnoten mit nach Hause bringen soll. An diese Regeln sollte man sich auch halten, um Vertrauen zu gewinnen und ein schönes Familienklima zu schaffen. Wie ich es jetzt beschrieben habe, hört es sich nach wenig Freiheit an. Aber so ist es nicht. Die Großeltern sind meist sehr verständnisvolle, großzügige und liebende Menschen. Meine Lolas und Lolos unterstützen mich in fast allem und lieben und schätzen mich. Was sie mir allerdings nicht erlauben, ist eine Freundin zu haben. Die Regel ist, man sollte in keiner Beziehung sein, bevor man nicht fertig ist mit studieren.
Der zweitwichtigste Teil der Familie sind die Eltern. Ähnlich wie in der alteuropäischen Vorstellung, ist auch auf den Philippinen die Frau mehr der Rolle der Hausfrau und dem Mann die Rolle des Geldverdieners zugeteilt. Obwohl viele Frauen auch zusätzlich arbeiten. Philippinische Eltern sind liebevoll, kümmernd und behütend. Sie wollen ihre Kinder immer in Sicherheit wissen, was oft eine sehr umfangreiche Kontrolle von Freunden, Orten und Anderem zur Folge zieht. Meine Gasteltern versuchen mir den Alltag so angenehm und leicht zu machen wie nur möglich. Das heißt auch, dass sie mich selten aufwecken, oder erst dann wenn es schon zu spät ist und dass ich kaum arbeiten muss oder im Haushalt nicht helfen muss. Damit ist Selbstdisziplin notwendig. Wenn ich pünktlich zur Schule will, muss ich mir den Wecker stellen, wenn ich gute Noten in meinen Arbeiten haben möchte, muss ich ohne Aufforderung dafür lernen. Im Klartext, Disziplin ist immer gewünscht, man kann sogar Plakate überall sehen die darauf hinweisen wie wichtig Disziplin ist, aber in Realität wird Disziplin nicht so wirklich unterstützt und auch nicht stark gefordert. Sprich, man muss stark aufpassen, dass man hier nicht zum Faulpelz wird. So wie ich finde hört es sich alles sehr anstrengend an, aber der Schein trügt. Das Familienleben hier auf den Philippinen ist etwas sehr besonderes und auf jeden Fall eine gute Erfahrung.
Mein Alltag besteht aus Schule, Fußball, Internet und SMS-schreiben. Nach der Schule sind bei allen Schülern die außerschulischen Aktivitäten an der Reihe. Das wären unzählige Sportarten, aber auch akademische Aktivitäten, wie etwa Debattieren oder der „Science Club“. Alle diese Aktivitäten spielen sich auf dem Schulgelände ab und obwohl sie „außerschulische Aktivitäten“ heißen, haben sie Einfluss auf die Schulnoten. Um spätestens 18:00 Uhr sind schließlich alle Schüler fertig und gehen in der Regel nach Hause, was auch daran liegt, dass die Eltern oft es nicht gut finden wenn man anschließend noch ausgehen möchte. Was wohl die beliebteste Beschäftigung der Filipinos ob jung oder alt ist, ist im Internet zu surfen, stundenlang auf Facebook alle möglichen Profile anzuschauen, oder Musik zu hören. Nebenbei wird dazu noch fleißig SMS geschrieben, sodass ich zum Beispiel in meinen sechs Monaten Aufenthalt knapp 10000 SMS empfangen und bestimmt 7000 versendet habe. Junge Filipinos und Filipinas sind zwar sehr offene, zugängliche, hilfsbereite und freundliche Leute, sie sind aber alle ein wenig selbstgefällig und sehr stolz, wenn ihnen jemand ein Kompliment macht, oder ihnen etwas gut gelungen ist. Das heißt man muss immer genau aufpassen was man zu ihnen sagt oder ihnen schreibt. Vor allem (in meinem Fall) Mädchen nehmen es sehr ernst wenn man ihnen ein Kompliment macht und denken oft schnell genug, dass man was von ihr wolle und erzählen dies gerne herum. Eine Sache, welche mir persönlich lange Zeit eine Menge kleiner Probleme bereitet hat.
In meinem letzten Teil möchte ich nochmal darauf zu sprechen kommen, ob es sich lohnt auf die Philippinen kommen, oder gegebenenfalls sogar hier ein Austauschjahr zu verbringen.
Wenn man hier her kommt, stellt man sich immer die traumhaftesten Strände, ein Wald aus Palmen und vielen anderen exotischen Pflanzen und ein angenehmes warmes und sonniges Klima vor. Diese Vorstellung ist richtig. Nur wenige Minuten von jedem Ort auf den Philippinen kommt man zu einem schönen Strand, und Palmen gibt es sowieso überall, wo man hinschaut. Die Natur ist einfach Wahnsinn. Aber man darf nicht vergessen, dass es sich bei den Philippinen um ein Dritte-Welt-Land handelt. Wenn man durch die nicht immer sonderlich sauberen Straßen läuft, sieht man eben nicht nur schöne Häuser, man sieht auch viele Slums und Baracken. Viele arme Menschen, von welchen viele auf den Straßen leben, frei herumlaufende Hunde die, auch überfahren, lange auf den Straßen zu finden sind, wird man auch garantiert öfters bemerken. Man muss sich auch darauf einstellen, dass man mit Sicherheit die ein oder andere Ratte und mehr als genug Kakerlaken sehen wird. Es mag nicht das sein, was man sich erhofft von einem Auslandsjahr, gerade wenn man aus einem so wohlhabenden Land wie Deutschland kommt. Aber man lernt daraus. Man lernt es zu schätzen, wie gut es einem geht und man lernt damit zu leben, weniger zu haben. Es ist eine gute und hilfreiche Erfahrung.
Ich habe schon besprochen, dass es durchaus sein kann, dass man ein wenig fauler wird, da Disziplin nicht stark gefordert wird. Aber auch das hilft. Wer in der Schule nicht als Dummkopf oder Versager dastehen will, sollte gute Noten zeigen. Sprich, man muss Selbstverantwortung zeigen oder sie entwickeln.
Unter all diesen schwierigen Situationen, die es zu meistern gilt, gibt es natürlich auch die unglaublich guten Aspekte der Philippinen. Zum einen ist es eine bunt gemischte Kultur, welche stark an die amerikanische gelehnt ist, aber auch von der spanischen, japanischen und chinesischen Kultur beeinflusst ist. Ein solch vielfältiger Mix erweitert den Horizont ungemein. Filipinos werden mit der englischen Sprache aufgezogen, dadurch beherrschen sie sie wie eine Muttersprache. Natürlich sehr hilfreich vor allem wenn man sich dazu entscheidet ins Ausland zu gehen um Englisch zu lernen. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass man in der Schule viel lernt. Und es ist nicht immer dasselbe als dass, was man in Deutschland lernen würde. Das ist zwar ein Nachteil für die Zeit, wenn man wieder zurück kommt, da man alles nachholen muss, aber im Endeffekt weiß man dadurch dann mehr als die deutschen Schulkollegen.
Philippinische Städte, wie Manila, Cebu City, Davao oder Tacloban City sind nicht wirklich ansehnlich. Sie sind recht langweilig und mit kaum kulturell bekannten oder wichtigen Stätten versehen. Aber sie sind in der Nähe dieser Stätten. Nur 2000 Kilometer entfernt liegt Bangkok, welches man schon für unter 100 € von Manila aus erreichen kann. Nur ein bisschen weiter ist dann schon Singapur und Kuala Lumpur, welche man auch für nur kleines Geld erreichen kann. Und das fantastische Hong Kong, was ich mir selbst auch angeschaut habe, liegt nur 1000 Kilometer entfernt, ein Distanz vergleichbar mit Frankfurt nach Palma de Mallorca, kann man wenn man Glück hat, für nur 50 € besuchen.
Und schließlich munkelt man doch, dass es auf den Philippinen die schönsten Frauen gibt. Nun ja, dies kann ich nur bestätigen.
An dieser Stelle ist es mir sehr wichtig, der Deutsche Bank AG ein großes „Dankeschön“ zu sagen. Mit deren großzügiger Unterstützung ich all dies erfahren durfte.
Credits: Philipp N.,
Deutschland - Philippinen 2010/11
Stipendiat der Deutschen Bank AG